4. Oktober 2024 / Aus aller Welt

Künstliche Befruchtung: Was bringt all das Zusatzangebot?

Viele Paare mit unerfülltem Kinderwunsch suchen Kinderwunschzentren auf. Dort können sie oft aus einer Liste an Angeboten auswählen. Diese kosten häufig viel zusätzlich - und bringen manchmal wenig.

Eine Eizelle wird befruchtet. Dieses Verfahren wird pro Jahr in Deutschland tausendfach durchgeführt.

In fast jeder deutschen Schulklasse sitzt rechnerisch mittlerweile ein Kind, das durch künstliche Befruchtung entstanden ist. Die Eltern dieser Kinder haben oft einen langen Weg mit vielen schwierigen Entscheidungen hinter sich. Denn in den Kinderwunschzentren stehen ihnen nicht nur mehrere Befruchtungsmethoden zur Auswahl. Häufig werden die Paare auch gefragt, ob sie vielversprechend klingende Zusatzleistungen buchen wollen. Mal soll das Spermium extra aufbereitet, mal der Embryo im Zeitraffer beobachtet, mal das Schlüpfen aus der Membran durch Anritzen erleichtert werden. Normalerweise kosten diese sogenannten Add-Ons extra - und ihr Nutzen ist zum Teil fragwürdig.

«Im Prinzip kann man zusammenfassen: Die Add-Ons bringen erwiesenermaßen nicht sehr viel», sagt Ulrich Knuth, Vorsitzender des Bundesverbands reproduktionsmedizinischer Zentren Deutschlands (BRZ), der also die Kinderwunschzentren vertritt. Es sei aber reizvoll für die Kliniken, diese Leistungen anzubieten, sagt er, «weil sie damit viel Geld verdienen können».

Erst wird ausprobiert, dann eine Studie durchgeführt

Knuth sieht ein Kernproblem darin, dass in der noch recht jungen Medizin-Disziplin - 1978 wurde das erste Baby nach In-vitro-Fertilisation geboren - viel ausprobiert und ungeprüft angewendet werde. «Jemand denkt sich etwas Schlaues aus, bei einer Patientin wirkt das, und dann wird es allen empfohlen, ohne dass das Verfahren in einer klinischen Studie untersucht wurde.» Häufig kämen erst Jahre später die ersten Studien zu diesen Verfahren raus - auch, weil es extrem aufwendig ist, solche Studien nach anerkannten Richtlinien durchzuführen.

Zu den wenig sinnvollen Verfahren zählt der Fachmann Embryo-Glue: ein spezielles Medium, das dem Embryo nach dem Transfer das Anhaften an die Gebärmutterschleimhaut erleichtern soll. Oder Scratching, bei dem eine kleine Verletzung in der Gebärmutter die Einnistung verbessern soll. «Auch das ist auf der Liste: Hilft nicht», resümiert er.

Verfahren zur Auswahl von Embryos

Erst im Juli kam eine großangelegte Studie im Fachblatt «The Lancet» zu dem Ergebnis, dass auch das sogenannte Time-Lapse-Verfahren zur Auswahl von Embryonen die Chance auf eine erfolgreiche Schwangerschaft nicht verbessert. Dabei werden tausende Fotos aufgenommen, um in einem Zeitraffervideo zu sehen, wie die Embryonen wachsen. Das soll die Entscheidung verbessern, welche davon sich besser für den Transfer eignen - tut es aber offenbar nicht.

«Dies zeigt, dass sich die theoretischen Vorteile fortschrittlicher Technologien nicht immer in verbesserten klinischen Ergebnissen niederschlagen», sagt Erstautorin Priya Bhide von der Queen Mary University in London. Ihr Co-Autor David Chan weist darauf hin, dass das Geld besser nicht für jene Maschinen ausgegeben werden solle, welche den Embryo fotografieren, sondern für andere Laborgeräte, die wirklich einen messbaren Einfluss haben.

42 Zusatzleistungen bewertet

Welche aber sind das? Die europäische Fachgesellschaft ESHRE (European Society of Human Reproduction and Embryology) prüfte 42 Zusatzleistungen, um darauf basierend Empfehlungen zu geben. Dabei bemängeln die Autorinnen und Autoren, dass keine ihrer Empfehlungen auf qualitativ hochwertige Evidenz gestützt werden könne, denn meist lägen nur Studien geringer Qualität vor. 

Insgesamt kommt die Gesellschaft zu dem Schluss: 37 der 42 Zusatzleistungen können nicht empfohlen werden. Einige wenige könnten in Betracht gezogen werden, oder sie werden empfohlen, aber teilweise nur für bestimmte Patientinnen-Gruppen. 

Nicht alles für alle Paare sinnvoll

Der Reproduktionsmediziner Volker Ziller betont, dass es sich lohne, genau auf die Patientinnen und ihre Bedürfnisse zu schauen. Der Leiter des Schwerpunktes für Gynäkologische Endokrinologie, Reproduktionsmedizin und Osteologie am Universitätsklinikum Marburg sagt: «Das ist wie in einer Autowerkstatt: Man braucht keine neuen Felgen, wenn der Motor stottert.» Deswegen sei es fragwürdig, wenn Kinderwunschzentren allen Paaren alles anböten.

Es könne aber schon sein, dass bestimmte Patientinnen, die zum Beispiel über einen niedrigen Spiegel des Hormons Progesteron verfügen, von einer Einnistungsspritze profitierten. Auch bei anderen Add-Ons sieht er gewisse Vorteile, auch beim Time-Lapse-Verfahren. 

«Das Ganze ist ein sehr komplexes und extrem schwieriges Thema», erklärt Ziller. Die überwiegende Mehrheit seiner Kolleginnen und Kollegen führe sicherlich nur Dinge durch, von denen sie inhaltlich überzeugt seien - auch wenn die Evidenz vielleicht nur schwach sei. «Die meisten Ärzte sind schon erst mal am Wohl ihrer Patienten interessiert.» 

Oft viele Versuche nötig, bis es klappt

Für viele Paare sind die Besuche bei Kinderwunschzentren sehr frustrierend. Die Schwangerschaftsrate pro Embryotransfer liegt bei etwa 31 Prozent, bei älteren Frauen noch weit darunter. Oft sind also viele Versuche nötig. «Deswegen suchen viele Menschen nach Lösungen», sagt Ziller. «Die Leute greifen nach jedem Strohhalm. Nicht nur die Patientinnen und Patienten, sondern auch die Mediziner.» Deswegen würden all diese Verfahren entwickelt.

Hilft der Placebo-Effekt? Bessert sich die Schwangerschaftsrate, wenn man viel Geld für etwas zahlt und damit die Hoffnung verbindet, dass es deswegen klappt? «Der Effekt der Psyche ist erstaunlich niedrig», erklärt Ziller. Relativ gute Daten gebe es für den umgekehrten Fall, wenn jemand während der Behandlung sehr gestresst sei: «Wenn der Embryo fit ist, dann schafft er es - egal, wie sehr sich die Patientinnen aufregen.»

Insgesamt, heißt es auf der Webseite des Familienministeriums, lebe in Deutschland fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos. Zur Unterstützung mancher Paare gibt es Bundes- und Landesmittel. Zudem existiert ein Info-Portal - eine Übersicht zu Add-Ons fehlt dort allerdings. Immerhin ein Podcast soll im Oktober zu dem Thema dort erscheinen.


Bildnachweis: © Jens Kalaene/dpa
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